Im BDSM kann es zu einem sogenannten “Drop” oder “Absturz” kommen, bei dem eine Person nach einer intensiven BDSM-Szene oder Session negative emotionale oder körperliche Auswirkungen erfährt. Es gibt zwei Hauptformen des Drops oder Absturz im BDSM: den Sub-Drop, der die submissive Person betrifft, und den Dom-Drop, der den dominanten Part betrifft. Der Umgang mit einem Drop ist entscheidend, um die Gesundheit und das Wohlbefinden aller Beteiligten zu gewährleisten.
Drop oder Absturz im BDSM – Warum passiert das?
Ein Absturz oder Drop ist ein seelischer Zustand, der sich zeigt, wenn eine Person die Emotionen einer Session nicht meistern kann. Dies kann unmittelbar während oder nach der Session, aber auch erst verzögert Tage oder Wochen danach eintreten. Der englische Begriff “Drop” wird häufig dafür verwendet. Es gibt verschiedene Gründe für einen Absturz, z.B. wenn eine Session nicht wie geplant verläuft, mangelnde Absprachen, das Überschreiten von Grenzen oder das Spiel entspricht nicht den Erwartungen, auch kann die gebotene Nachsorge unzureichend sein oder wenn der körperliche Hormonspiegel nach der Session zu schnell abfällt.
In der Regel ist der unterwürfige Teil (Sub, Bottom, Serf) davon betroffen, aber auch die aktive Rolle (Dom, Top, Master) kann betroffen sein, z.B. wenn sie mit Scham und Schuldgefühlen konfrontiert wird, weil sie gesellschaftliche Grenzen überschritten hat.
Was gilt es zu beachten?
Wenn eine Person von einem BDSM – Absturz/Drop betroffen ist, ist es wichtig, dass die andere Person einfühlsam und liebevoll auf sie eingeht. Eine offene, vorwurfsfreie und mitfühlende Kommunikation kann hierbei hilfreich sein, allerdings, nur wenn der oder die Abgestürzte dazu bereit ist. Auch körperliche Zuneigung sollte nicht aufgedrängt werden. Das Wichtigste für die stabile Person ist, auf die Bedürfnisse des anderen einzugehen und so viel Sicherheit wie möglich zu bieten.
Um einem Absturz vorzubeugen, ist die Einhaltung der Grenzen deines Spielpartners sowie eine genaue Beobachtung und angemessene Reaktion auf körperliche und psychische Zustände unerlässlich. Aftercare ist ein weiterer wichtiger Faktor, um einem Drop vorzubeugen, auch wenn die Session nicht abgebrochen wurde. Körperliche Liebe, positive Gespräche und Aktivitäten, die sich gut anfühlen, wie Spaziergänge, Bäder oder gemeinsame Snacks können hierbei hilfreich sein. Wenn es dennoch zu einem Drop kommt, gibt es hier sechs mögliche Ansätze, um mit dieser Situation umzugehen.
Sub-Drop
Trotz ausreichender Kommunikation kann es vorkommen, dass man als Sub eine Situation falsch einschätzt, was zum Sub-Drop führen kann. Zum Beispiel, wenn man sich im Voraus etwas zugemutet hat, das sich während des Spiels als unangenehm herausstellt. Auch innerhalb der festgelegten Limits können Situationen entstehen, die am Ende anders beurteilt werden. Das kann von der Tagesform oder vom Spielpartner abhängen. Plötzlich fühlt sich der Schmerz unerwünscht oder zu stark an, während die Erniedrigung, die sonst gut ankommt, als verletzend empfunden wird. Dazu kommt das Gefühl, sich selbst falsch eingeschätzt und versagt zu haben, was zu Scham führen kann.
Subs haben oft den Anspruch, ihrem Dom immer gerecht zu werden. Wenn sie es nicht schaffen, eine bestimmte Strafe auszuhalten oder eine Aufgabe zu erfüllen, können Selbstzweifel aufkommen. Besonders wenn das Safeword ausgesprochen und/oder die Session abgebrochen wird, kann es sich so anfühlen, als ob sie nicht gut oder stark genug sind. Trotz der Aftercare können solche Gedanken, die überhand gewinnen und zu einem Sub-Drop führen.
Schuld- und Schamgefühle
Eine weitere Ursache für einen Sub-Drop kann das Schamgefühl sein. In unserer Gesellschaft sehen viele Menschen Schmerzen und Erniedrigung als etwas Schlechtes an, und es wird erwartet, dass man dabei keine Freude oder Erregung empfindet. Viele BDSM-Praktiken werden als abnormal oder pervers angesehen, was dazu führen kann, dass sich Subs schämen, für ihre Neigungen.
Manchmal ist die Ursache für einen Sub-Drop jedoch nicht greifbar. Die menschliche Psyche ist sehr komplex, und Demütigung, Angst und Schmerz wirken auch auf unser Unterbewusstsein ein. In Extremsituationen wie Sex, Schmerz und BDSM verlangt unser Gehirn viel ab. Unter solchen Umständen kann es vorkommen, dass unser Unterbewusstsein anders entscheidet als geplant oder erwartet. Auch kann ein Sub-Drop zeitversetzt oder durch bestimmte Handlungen, Situationen oder Worte ausgelöst werden.
Dom-Drop
Innerhalb von BDSM-Dynamiken wird von einer dominanten Person viel verlangt. Der Top ist in erster Linie dafür verantwortlich, dass die Session sicher verläuft und dass Limits eingehalten werden. Es ist seine Aufgabe, den Sub zu führen und die Intensität der Praktiken zu regulieren. Natürlich kann es passieren, dass Fehler gemacht werden, da wir alle menschlich sind und Fehler machen können. Doch wenn die Fehleinschätzung des Tops dazu führt, dass der Sub unerwünschtes Leid erfährt, kann dies an der Psyche nagen. Wenn dann auch noch das Safeword ausgesprochen oder die Session abgebrochen wird, kann sich das für den Top besonders schlimm anfühlen. Oft haben Tops den Anspruch, unfehlbar zu sein, und wenn dieses Bild ins Wanken gerät, kann es zu Unsicherheit, Selbstzweifeln und Selbstvorwürfen führen – dies wird dann als Top-Drop bezeichnet.
Fehlverhalten passiert selten aus böser Absicht. Manchmal liegt es daran, dass man sich während der Session gemeinsam in eine zu intensive Situation hineinsteigert oder dass Anzeichen übersehen werden. Obwohl ein Fehler nicht das Ende bedeutet, kann das verbleibende Gefühl des Versagens manchmal schwer zu ertragen sein.
Als Dom kann man auch physisch und psychisch nicht jeden Tag in Bestform sein. Bei vielen Praktiken muss man als Top auch körperlich einiges leisten, und wenn man dem Sub körperlich unterlegen ist, kann man an den eigenen Fähigkeiten zweifeln. Auch gibt es Tage, an denen es schwierig ist, die richtigen Worte zu finden, Seile perfekt zu verknoten oder sexuell erregt zu sein. All diese Dinge können Auslöser für einen Top-Drop sein.
Gewissen
Eine weitere Ursache für einen emotionalen Absturz bei einem Dom können Gewissensbisse sein. In unserer Gesellschaft gilt Gewalt als etwas Negatives, und wir empfinden in der Regel keine Freude dabei, anderen Schmerz zuzufügen. Beim BDSM – insbesondere bei sadomasochistischen Praktiken – tun wir jedoch genau das.
Das Abweichen von gesellschaftlichen Normen und das Brechen von Tabus kann dazu führen, dass ein Dom Gewissensbisse bekommt. Von außen betrachtet nimmt der Dom die Rolle des Täters ein, auch wenn alles einvernehmlich ist. Es ist schwierig, einvernehmliche Gewalt und Demütigung für sich selbst abzugrenzen. Trotz Konsens ist es nicht selbstverständlich, dass man sich dabei stets mit sich im Reinen fühlt.
Was während der Session noch großen Spaß und Erregung verursachte, kann im Nachhinein zu Unwohlsein, Gewissensbissen und sogar einem Dom-Drop führen. Man kann sich fragen: “Was habe ich getan? Darf mir so etwas gefallen? Bin ich ein schlechter Mensch?” oder “Liebt mich meine Partnerperson noch genauso sehr wie vorher? Habe ich meinem Sub Angst gemacht?” Solche Gedanken sind belastend.
6 Ansätze, mit einem Drop/Absturz umzugehen
In diesem Abschnitt möchten wir verschiedene Methoden vorstellen, die bei einem Drop (egal ob Dom- oder Sub-Drop) hilfreich sein können. Es gibt jedoch keine Gesamtlösung, die für jeden gilt, da jeder Mensch individuelle Bedürfnisse hat, besonders in sensiblen Situationen. Nutzt diese Liste daher lediglich als Anregung und findet heraus, welche Möglichkeiten für Euch am besten funktionieren.
1. Intimität nach dem Drop
Ebenso wie bei der regulären Aftercare nach einer BDSM-Session kann körperliche Nähe auch bei einem Absturz hilfreich sein. Es ist jedoch wichtig, vorher zu fragen, ob das gewünscht ist. Es geht darum, deinem Partner das Gefühl von Sicherheit zu geben, indem du ihn in den Arm nimmst, es ihm gemütlich machst und Zärtlichkeiten austauschst. Dabei steht nicht die sexuelle Erregung im Vordergrund, sondern das Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit.
2. Bedürfnisse befriedigen
BDSM kann sehr anstrengend sein und gerade bei einem Absturz spielt der Körper eine wichtige Rolle. Deshalb sollten bei einem Drop körperliche Bedürfnisse wie Wärme, Kühlung, Schlaf, Durst, Hunger, Schmerzreduktion und Ruhe erfüllt sein.
3. Distanz nach dem Absturz
Es ist wichtig zu verstehen, dass bei einem Absturz nicht immer Nähe gewünscht ist. Es kann genauso normal sein, in solch einer emotionalen Situation mehr Platz und Zeit für sich selbst zu benötigen. Bei einem Drop sollte man deshalb unbedingt vorher fragen, ob eine Umarmung oder körperliche Nähe in Ordnung ist. Sollte dies nicht der Fall sein, sollte man stattdessen mit etwas Abstand sitzen oder liegen und fragen, ob das in Ordnung ist. Obwohl Berührungen bei einem Drop oft als anstrengend empfunden werden, kann die Anwesenheit einer Person dennoch heilsam sein. Wenn die abgestürzte Person jedoch darum bittet, allein zu sein, sollte man den Wunsch respektieren. Es ist auch möglich, lediglich Kontakt über Hände zu halten.
Oft kann es hilfreich sein, bei einem Drop eine Pause vom Thema BDSM zu machen. Spielelemente sollten entfernt werden, Kostüme und Spielzeug sollten in einem Schrank verstaut werden. Es kann auch eine gute Idee sein, den Raum zu verlassen, in dem das Spiel stattgefunden hat. In manchen Fällen möchte die Person, die abgestürzt ist, sich von seinem Spielpartner zurückziehen. In dieser Situation ist es wichtig, diese “Pause” vorher gemeinsam zu besprechen und eine Zeit zu vereinbaren, in der kein Kontakt stattfindet. Es sollte auch geplant werden, wie der Kontakt später wieder aufgenommen werden kann. Wenn ein Drop so schwerwiegend ist, dass man entscheidet, nicht mehr miteinander zu spielen, sollte man nicht einfach den Kontakt abbrechen, sondern darüber sprechen.
4. Aufmunterung
Obwohl es nicht empfehlenswert ist, einen Drop einfach zu verdrängen, kann Ablenkung vorübergehend eine Möglichkeit sein, besonders wenn man noch nicht bereit ist, sich direkt mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Man kann beispielsweise einen Spaziergang machen, idealerweise an der frischen Luft und in der Sonne. Man kann auch etwas kochen und gemeinsam einen Film anschauen, einen Podcast hören oder ein Buch lesen. Einige dieser Aktivitäten lassen sich auch gut gemeinsam unternehmen, mit mehr oder weniger körperlicher Nähe.
5. Austausch und Reflexion
Es ist wichtig, einen Drop nicht einfach zu verdrängen, sondern die eigenen Gefühle zuzulassen, anzunehmen und einzuordnen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dies zu tun:
- Schreibe deine Gefühle auf und gib ihnen einen Namen. Auch wenn das befremdlich klingt, kann es helfen, Gedanken zu strukturieren. Das Ergebnis muss niemandem gezeigt werden und kann anschließend auch vernichtet werden.
- Ein Drop kann das Signal sein, dass während der Session Grenzen überschritten wurden. Verwende dieses Wissen, um deine Grenzen neu zu definieren und um ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, was du tatsächlich willst und nicht willst.
- Auch wenn es nicht unbedingt sofort geschehen muss, ist es hilfreich, über den Drop zu sprechen. Ein offenes Gespräch kann Verständnis fördern und Missverständnisse aufklären. Es zeigt auch, dass ein Absturz kein Tabu ist und nimmt dem Thema seine Bedrohlichkeit.
- Ein Austausch innerhalb der BDSM-Szene oder mit anderen verständnisvollen und objektiven Personen kann ebenfalls hilfreich sein. Es kann eine Rückversicherung bieten, dass man mit diesen Emotionen nicht allein ist, und man kann von den Erfahrungen und Strategien anderer profitieren. Es ist wichtig zu erkennen, dass man nicht die einzige Person ist, die jemals abgestürzt ist.
6. Nächstes Spielen
Plant eine Session, bei der Ihr Euch besonders sicher fühlt. Konzentriert Euch auf die Basics und die Praktiken, die Euch besonders Spaß machen. Sprecht vor der Session bewusst über Eure Grenzen, Eure Einvernehmlichkeit und stellt Fragen. Vermeidet es, die Session zu lang oder zu intensiv zu gestalten, und justiert gegebenenfalls nach. Seid einfach besonders achtsam und lasst Euch von einem Drop nicht die Freude an Eurem BDSM-Lifestyle nehmen.
Wie kann ein Absturz/Drop vorgebeugt werden?
Um zu verhindern, dass es zu einem emotionalen Absturz kommt, achte darauf, die persönlichen Grenzen deines Spielpartners zu respektieren und sei sensibel für seine körperlichen und psychischen Zustände. Reagiere entsprechend, um unangenehme oder belastende Situationen zu vermeiden. Die Nachsorge (Aftercare) nach einer Spielsession ist äußerst wichtig, selbst wenn die Session nicht vorzeitig abgebrochen wurde. Diese unterstützende Phase hilft dabei, mögliche emotionale Tiefs (Drops) zu verhindern oder zu bewältigen. Sorge dafür, dass die Beteiligten die Möglichkeit haben, sich zu entspannen, zu kommunizieren und sich emotional zu stabilisieren.
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